Korrosion ist eine chemische Reaktion, der selbst die stärksten Strukturen zum Opfer fallen: Metalle wie etwa Stahl reagieren mit Sauerstoff und Wasser, rosten und zerfallen. Im Kampf gegen Korrosion ist der kathodische Korrosionsschutz eine wichtige Waffe. Diese Methode schützt Stahlstrukturen, indem sie die Vorgänge, die zur Korrosion führen, verlangsamt oder verhindert.
Der kathodische Korrosionsschutz wurde vor zwei Jahrhunderten in England zum ersten Mal auf einer wissenschaftlichen Grundlage beschrieben und leistet seither wertvolle Dienste beim Erhalt moderner Infrastruktur wie erdvergrabener Gasleitungen und Stahlbetonkonstruktionen. «Doch trotz der weiten Verbreitung blieb der grundlegende Funktionsmechanismus des kathodischen Schutzes bislang unklar und umstritten», sagt Ueli Angst, Professor für Dauerhaftigkeit von Werkstoffen an der ETH Zürich.
Ein Forscherteam unter Angsts Leitung hat nun bei der Klärung des Wirkprinzips bedeutende Fortschritte gemacht, insbesondere bei Stahl in porösen Medien wie Boden oder Beton.
Ihre in der Zeitschrift Communications Materials des Nature Portfolios erschienene Studie beleuchtet die komplexen Prozesse, die beim kathodischen Korrosionsschutz an der Grenzfläche zwischen Metall und porösem Medium ablaufen. Um das Zusammenspiel zu illustrieren, lohnt sich ein Blick auf die Geschichte der Methode.
Das Prinzip entstand vor zweihundert Jahren
Der kathodische Korrosinsschutz geht auf den britischen Chemiker und Erfinder Sir Humphry Davy zurück, der das Prinzip vor etwas mehr als zwei Jahrhunderten beschrieb. Die Royal Navy sah sich damals mit einem Problem konfrontiert: Sie hatte die hölzernen Rümpfe ihrer Schiffe mit Kupferblech verkleidet, um Bewuchs und Fäulnis zu vermeiden – doch die kupfernen Hüllen wurden im salzigen Meerwasser rasch durch Korrosion angegriffen und zersetzt. Sir Humphry Davy, damals Präsident der Royal Society, nahm sich der Lösungssuche im Namen der Wissenschaft an.
In Norditalien hatten Luigi Galvani und Alessandro Volta unlängst das Phänomen entdeckt, dass elektrischer Strom fliesst, wenn man verschieden edle Metalle miteinander verbindet. Im Labor konnte Davy zeigen, dass kleine Mengen unedler Metalle wie Zink oder Eisen relativ grosse Kupferbleche vor Korrosion schützen können, namentlich indem sie als Opferanode wirken und selbst korrodieren.
1824 wendete die Royal Navy die Technik von Davy nahezu direkt aus dem Labor auf ihre gesamte Flotte an – zu voreilig, wie sich zeigte. Die Kupferhüllen waren nun zwar vor Korrosion geschützt, sie verloren jedoch ihre Wirkung gegen marinen Bewuchs: Die Schiffe wurden immer schwerer und kaum mehr manövrierbar. Die Royal Navy musste den kathodischen Korrosionsschutz wieder entfernen, und Davy’s Episode ging als ein bedeutsames Lehrstück des Scheiterns aufgrund voreilig in die Praxis übertragener Erkenntnisse in die Geschichte ein.
«Heute wissen wir, dass der kathodische Schutzstrom als Nebeneffekt die Ablagerung von Mineralien auf dem Kupfer bewirkt, was den Bewuchs mit Muscheln und anderen Meeresorganismen erlaubt», erzählt Angst. Trotz des Scheiterns vor zwei Jahrhunderten hatte Davy mit seiner Arbeit die Grundlage für spätere Anwendungen gelegt.
Zwei Hypothesen zur Funktionsweise
Es dauerte jedoch noch rund hundert Jahre, bis Robert James Kuhn die Technologie in den USA zum Einsatz brachte, diesmal um erdvergrabene Rohrleitungen dauerhaft zu machen. Aus Kuhn’s Notizen geht hervor, dass er bereits in den 1920er Jahren über ein deutlich besseres Verständnis der Korrosionsprozesse verfügte, als dies noch zu Davy’s Zeiten der Fall war. Ausserdem führte Kuhn umfangreiche Testreihen «im Feld», also unter reellen Bedingungen, durch.
Seither hat sie sich die Technologie zu einer Standardmethode für den Korrosionsschutz entwickelt und verleiht heute insbesondere Wasser- und Gasleitungen, Tanks und Schiffen, aber auch Brücken und Parkhäusern ein längeres und korrosionsfreies Leben.
Doch trotz der weiten Verbreitung in der Ingenieurpraxis werden die zugrunde liegenden Wirkmechanismen des kathodischen Korrosionsschutzes immer noch kontrovers diskutiert.
Seit Jahrzehnten stehen sich zwei Lager mit gegensätzlichen Theorien gegenüber: Einerseits gibt es die Ansicht, dass der Schutzstrom direkt die Geschwindigkeit der Korrosion beeinflusst. Andererseits existiert die Hypothese, dass der Schutzstrom zu einem Anstieg des pH-Werts im Medium an der Grenzfläche führt, was den Stahl vor Korrosion schützt – ein Gedanke, den Kuhn bereits 1928 erstmals postulierte.
Gemäss Angst behindert das mangelnde wissenschaftliche Verständnis die Entwicklung fundierter ingenieurtechnischer Praktiken. Als Beispiel kann das von Kuhn in den 1920er Jahren postulierte Schutzkriterium dienen, das bis heute in Normen steht und ein Potenzial von -850 Millivolt gegenüber der gesättigten Kupfersulfatelektrode fordert: «Es handelt sich hierbei um ein empirisches Kriterium», sagt Angst.
Der inkonsistente Sachstand führt auch dazu, dass sich Normen widersprechen, und es in der Praxis nicht immer möglich ist, alle relevanten Normvorgaben gleichzeitig zu erfüllen. «Dies ist umso bedenklicher, als dass der kathodische Korrosionsschutz als Schlüsseltechnologie für die Infrastruktur betrachtet werden kann und dass er bei sicherheitsrelevanten Anlagen wie etwa Hochdruckgasleitungen zum Einsatz kommt», so Angst weiter.
Ein vereinigender Mechanismus
Für ihre Studie fokussierten die ETH-Forschenden auf die Grenzfläche zwischen Stahl und Elektrolyt und charakterisierten die räumlichen und zeitlichen Veränderungen detailliert.
So konnten sie erstmals überhaupt die Bildung eines hauchdünnen Metalloxidfilms auf der Stahloberfläche nachweisen und zeigen, dass diese Schicht eine direkte Folge des Anstiegs des pH-Werts aufgrund der ablaufenden elektrochemischen Prozesse ist.
Federico Martinelli-Orlando, Erstautor der Studie, ergänzt: «Ausserdem konnten wir zeigen, dass diese chemischen Veränderungen auf der Stahloberfläche und im Elektrolyt wiederum zu veränderten Geschwindigkeiten und Verläufen der anodischen und kathodischen Reaktionen führen.»
Die ETH-Forscher schlagen einen Wirkungsmechanismus vor, der die scheinbaren Widersprüche zwischen früheren Hypothesen auflöst und beide Theorien komplementär zusammenführt.
«Wir kommen zum Schluss, dass wir diese beiden Theorien eher als Ergänzung denn als Widerspruch zueinander betrachten sollten, um den Wirkmechanismus des kathodischen Korrosionsschutzes vollständig zu erklären», sagt Federico Martinelli-Orlando.
Auf der Basis der durchgeführten Messungen haben die Forscher ein Wirkmodell entwickelt, das sämtliche elektrochemischen Vorgänge berücksichtigt.
Widerspruchsfreie Normen
Das erlangte konsistente Verständnis kann dazu beitragen, Korrosionsschutztechnologien zu verbessern und kritische stahlbasierte Infrastrukturen sicher, wirtschaftlich und umweltfreundlich zu betreiben.
So können die Resultate bestehende, empirische Konzepte nachträglich «validieren» und die Grundlage für widerspruchsfreie Ansätze bilden, etwa um fundierte Norm-Kriterien für die Wirksamkeit des kathodischen Korrosionsschutzes zu entwickeln.
Wissenschaftlich abgestützte Technologien für den Korrosionsschutz spielen aktuell insbesondere im Kontext der alterndern Infrastruktur eine wichtige Rolle, da sie den Ersatz von alten Bauwerken hinauszögern oder verhindern können. «Wenn wir unnötige Rück- und Ersatzbauten vermeiden, kommt das schliesslich auch der Umwelt zugute», sagt Angst.