Rund acht Prozent der globalen CO₂-Emissionen gehen auf das Konto der Zementindustrie – mehr als beim gesamten internationalen Flugverkehr. Ein interdisziplinäres Team am Paul Scherrer Institut (PSI) hat nun eine Methode entwickelt, mit der sich neue Zementrezepturen KI-gestützt simulieren und gezielt hinsichtlich Materialqualität und Emissionsreduktion optimieren lassen.
Klinkerproduktion als CO₂-Treiber
Zement entsteht durch das Brennen von Kalkstein zu Klinker bei rund 1’400 Grad Celsius – ein energieintensiver Prozess. Doch überraschenderweise stammen über die Hälfte der Emissionen nicht aus der Verbrennung, sondern aus dem Rohmaterial selbst: Im Kalkstein ist chemisch CO₂ gebunden, das bei der Verarbeitung freigesetzt wird.
Eine vielversprechende Strategie: den Klinkeranteil durch alternative Zuschlagstoffe reduzieren, ohne Einbussen bei den mechanischen Eigenschaften hinzunehmen.
Digitales Rezeptbuch für klimafreundlichen Zement
Das PSI-Team entwickelte dazu ein KI-gestütztes Simulationsmodell, das auf eigenen thermodynamischen Berechnungen (via Open-Source-Software GEMS), experimentellen Daten und mechanischen Modellen basiert. So konnten Rezepturvorschläge generiert werden, die sowohl die CO₂-Bilanz minimieren als auch die Materialqualität sichern.
«Anstatt Tausende Varianten im Labor zu testen, generiert unser Modell innerhalb von Sekunden konkrete Rezeptvorschläge – wie ein digitales Kochbuch für klimafreundlichen Zement», erklärt Romana Boiger, Mathematikerin am PSI und Erstautorin der Studie.
Von der Simulation zur Optimierung
Statt mögliche Zusammensetzungen durchzuprobieren, wurde das Problem als mathematische Optimierungsaufgabe formuliert: Gesucht sind Rezepturen, bei denen die mechanischen Eigenschaften maximiert und die Emissionen gleichzeitig minimiert werden. Dazu nutzte das Team zusätzlich genetische Algorithmen – KI-Methoden, die an Prinzipien der natürlichen Selektion angelehnt sind.
Praxisrelevanz für Zement- und Werkstoffindustrie
Die Ergebnisse zeigen, dass sich geeignete Rezepturen mit hoher Relevanz für die industrielle Anwendung identifizieren lassen. «Einige der Kombinationen haben echtes Potenzial», sagt John Provis, Zementforscher am PSI. «Nicht nur in Bezug auf CO₂-Einsparung und Qualität, sondern auch hinsichtlich ihrer Umsetzbarkeit in der Praxis.»
Der Workflow ist skalierbar und lässt sich auch auf andere Materialsysteme anwenden – beispielsweise in unterschiedlichen Umweltbedingungen oder in der Produktion unter wechselnden Rohstoffverfügbarkeiten.
Teil des SCENE-Forschungsprogramms
Die Studie wurde im Rahmen des SCENE-Projekts (Swiss Centre of Excellence on Net Zero Emissions) durchgeführt. Dieses interdisziplinäre Programm verfolgt das Ziel, wissenschaftlich fundierte Lösungen zur Reduktion industrieller Treibhausgasemissionen zu entwickeln. Beteiligte Institutionen waren u.a. Empa und PSI.