Fast alle großen Pharmakonzerne haben sich aus der Entwicklung lebenswichtiger Antibiotika zurückgezogen. Nun startet die Pharmaindustrie eine Initiative, um die Entwicklung neuer Wirkstoffe zu fördern. Sie seien dafür kritisiert worden, dass sie diesen Bereich verlassen hätten, sagte ihr Cheflobbyist Thomas Cueni, Generaldirektor des Internationalen Pharmaverbandes (IFPMA): «Wir haben erkannt, dass wir als Industrie zeigen müssen, dass wir Geld in die Hand nehmen.»
23 Pharmaunternehmen wollen nun insgesamt eine knappe Milliarde Euro bereit stellen, um die Entwicklung neuer Antibiotika voranzubringen. Die Initiative sei bahnbrechend, sagt Cueni, als «game changing» bezeichnet er sie.
Kampf gegen resistente Keime ist kompliziert
Auch der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation, Tedros Adhanom Ghebreyesus, hob die Bedeutung hervor. Resistenzen würden sich mit einer alarmierenden Geschwindigkeit ausbreiten, und die aktuell in der Entwicklung befindlichen Antibiotika seien nicht ausreichend. Die Resistenzen gelten als eine der größten globalen Bedrohungen für die Gesundheit aller Menschen. Ohne wirksame Antibiotika können kleine Wunden lebensbedrohlich werden, sind Operationen kaum mehr möglich. Auch Krebsbehandlungen würden extrem schwierig, weil die Patienten ein hohes Risiko tragen, an Infektionen durch Bakterien zu erkranken.
Antibiotika versprechen keinen Profit
Trotz des dringenden Bedarfs werden allerdings kaum neue Antibiotika entwickelt. Für die großen Konzerne ist dieser Bereich nicht lukrativ, und kleinen Unternehmen fehlen die Mittel für die aufwändigen klinischen Studien und die anschließende Vermarktung. «Es gibt zurzeit schlicht kein Geschäftsmodell für neuartige Antibiotika», sagt Cueni vom Internationalen Pharmaverband IFPMA. Das Hauptproblem: Neue Mittel sollten möglichst wenig eingesetzt werden, nur als Reserve dienen, damit Bakterien nicht schnell auch resistent gegen diese Antibiotika werden.
Die Idee der Initiative ist nun, einen Fonds aufzulegen, der gezielt in kleine Firmen investiert, die zu möglichen Antibiotika forschen. Diese können sich mit ihren Wirkstoff-Kandidaten bewerben. Ein wissenschaftliches Gremium soll dann entscheiden, wie vielversprechend und sinnvoll das Projekt ist. Das Ziel sei, bis 2030 zwei bis vier innovative Antibiotika zur Marktreife zu bringen, sagt Cueni. Dafür sollen die großen Unternehmen, die sich an dem Fonds beteiligen, auch die kleinen Firmen mit ihrer Expertise im Bereich der Entwicklung, Zulassung und Vermarktung unterstützen.
Untestützung von der WHO
Die WHO hat an der Entwicklung dieser Initiative mitgearbeitet. «Wir haben zusammen mit der Europäischen Investitionsbank seit 2018 an einem Konzept für einen Investitionsfonds gearbeitet», sagt Peter Beyer von der Weltgesundheitsorganisation. «Uns fehlten dann eigentlich nur noch die Investoren». Seit Anfang des Jahres hätten sie dann intensiv mit der Pharmaindustrie zusammengearbeitet. Dieser Fonds sei das Ergebnis der Gespräche. Das Besondere hieran sei: Das Geld komme von der Industrie, und die öffentliche Seite, die WHO, berate inhaltlich, «damit es tatsächlich der öffentlichen Gesundheit hilft», sagt Beyer.
Geld allein reicht nicht
Doch weder er noch die Pharmaindustrie gehen davon aus, dass der Fonds allein das Problem löst. Sie fordern die Politik zum Handeln auf. "«Das Problem ist nur mit langfristigen Reformen zu lösen», sagt Cueni. «Am Ende müssen Kosten und Nutzen der Mittel anders bewertet werden, um Anreize für die Pharmafirmen zu schaffen, wieder in Antibiotikaforschung zu investieren.» Sprich: Die Mittel müssen für die Unternehmen wieder lukrativ werden.
Einige Ansätze dazu werden bereits seit Längerem diskutiert - etwa Bonuszahlungen für eine erfolgreiche Marktzulassung oder eine Art Lizenzgebühr für die Medikamente. Dass also Antibiotika nicht einzeln bezahlt werden, sondern die Hersteller eine Art Monats- oder Jahrespauschale bekommen. Großbritannien und Schweden haben bereits Pilotmodelle für andere Bezahlmodelle gestartet. Nötig wäre nach Ansicht von Experten aber deutlich mehr - auch finanziell: Einige Milliarden Euro pro Jahr müssten investiert werden, um das Problem in den Griff zu bekommen.