Betroffene berichten von heftigen Schmerzen: Nierensteine können zwar lange Zeit unbemerkt bleiben, bei vielen Menschen verursachen sie jedoch irgendwann im Leben Beschwerden. Über fünf Prozent der Bevölkerung leiden an den vielgestaltigen Kristallen. Welche Therapie sich für die Volkskrankheit am besten eignet, hängt von der Form und chemischen Zusammensetzung der steinigen Gebilde ab. «Manchmal ist die Art der Steine aber erst dann erkennbar, wenn sie bereits durch eine Operation entfernt wurden», erklärt Robert Zboray vom «Center for X-ray Analytics» der Empa.
Nicht immer ist ein solcher Eingriff im Spital indes überhaupt nötig. In manchen Fällen ist eine – weitaus günstigere – Umstellung der Ess- und Trinkgewohnheiten genügend. Damit die richtige – sprich auf die einzelnen PatientInnen zugeschnittene – Behandlung zum Einsatz kommt, entwickeln Empa-Forschende ein neues Diagnoseverfahren auf der Basis fortgeschrittener Röntgentechnologien. Ermöglicht wird das kürzlich gestartete Projekt durch die Unterstützung der Maiores-Stiftung in Liechtenstein sowie einer weiteren Stiftung.
Präzise und effizient
Zboray und sein Team suchen nach biomedizinischen Bildgebungsverfahren, mit denen Inhaltsstoffe, Gestalt und Lage der Nierensteine präzise, kostengünstig und schmerzlos bestimmt werden können. Besonders geeignet ist hierbei das sogenannte Dunkelfeld-Röntgen. Die innovative, multimodale Technologie nutzt einerseits die Streustrahlung, die bei der Wechselwirkung von Röntgenstrahlung und Nierenstein entsteht, andererseits die direkte Durchstrahlung, die gleichzeitig ein konventionelles Röntgenbild ergibt. Die Kombination der beiden Bildarten ermöglicht eine besonders empfindliche Bestimmung der Zusammensetzung des Steins. Damit lassen sich sogar nahezu transparente Objekte sowie Feinheiten der Mikrostruktur abbilden. «Unser Ziel ist es, gängige Röntgengeräte in Arztpraxen und Spitälern möglichst kosteneffizient auf die neue Dunkelfeld-Technologie umrüsten zu können», so der Empa-Forscher.
Kurzinterview mit Robert Zboray, Gruppenleiter am «Center for X-ray Analytics» der Empa
Gibt es bereits erste Ergebnisse oder Fallstudien, die die Wirksamkeit und Vorteile des neuen Verfahrens belegen?
Noch nicht. Wir sind in der ersten experimentellen Phase und untersuchen extrahierte Steine ex-vivo im Labor. Dabei optimieren wir unser Verfahren, um eine hohe Empfindlichkeit und Spezifizität für die Klassifizierung verschiedener Nieren- und Harnsteinarten zu erreichen.
Wie könnte das neue Diagnoseverfahren die Behandlung von Nierensteinen verändern oder verbessern?
Unser Ziel ist eine bessere und verlässlichere nichtinvasive Diagnose. Im Vergleich zu den gängigen Methoden wie CT und Dual-Energy-CT, hoffen wir, eine breitere Palette von Steinarten identifizieren zu können. So könnten wir invasive Eingriffe vermeiden, da einige Steinarten medikamentös oder durch eine Diätumstellung behandelt werden können. Eine genaue Kenntnis der Steinart ermöglicht eine gezieltere Behandlung und ein effizienteres Patientenmanagement. Letzteres würde auch die Verfolgung von Rezidivfällen verbessern oder eine frühere Erkennung von Rückfällen ermöglichen. Zudem könnte unser Verfahren die Strahlungsdosis für Patienten reduzieren, da nur eine einzelne Radiografie-Aufnahme erforderlich ist.
Welche technischen Anpassungen sind erforderlich, um bestehende Röntgengeräte auf die Dunkelfeld-Technologie umzurüsten?
Unser Ansatz mit Speckle-Röntgen ist im Vergleich zu anderen Dunkelfeld-Röntgenmethoden hardwaremässig relativ unkompliziert. Wir entwickeln spezielle Masken, die das Strahlungsfeld modulieren, um das Dunkelfeld-Signal zu extrahieren. Diese sollen möglichst einfach in bestehende klinische Set-ups integrierbar sein. Die Herausforderung liegt in der Extraktion der Informationen aus den digitalen Röntgenbildern, wofür wir Computeralgorithmen entwickeln. Die klinische Anwendung erfordert zudem neue Protokolle, die wir im Rahmen unseres Projekts entwickeln. Von neuen bildgebenden Technologien wie der Quantenzählung mittels Photon-Counting-Detektoren könnte unser Verfahren ebenfalls profitieren. Diese ermöglichen ein effizientes und rauschfreies Detektieren von Röntgenquanten und ermöglichen damit bei erhöhter Bildqualität eine Verringerung der Strahlendosis.
Gibt es andere medizinische Bereiche, in denen die Dunkelfeld-Röntgentechnologie potenziell eingesetzt werden könnte?
Ja. Dunkelfeld-Röntgen wird bereits zur Diagnose von Lungenkrankheiten wie COPD eingesetzt [1]. Eine Pilotanlage in München nutzt diese Technologie bereits [2]. Es gibt auch Studien zu anderen Lungenpathologien wie Fibrose, Pneumothorax, Lungenkrebs und Lungenentzündung, einschliesslich COVID-19 [3]. Eine weitere vielversprechende Anwendung ist das Detektieren und Klassifizieren von Mikrokalzifizierungen, die als Vorboten von Brustkrebs gelten.
Was sind die nächsten Schritte in der Forschung und Entwicklung dieses neuen Verfahrens?
In der nächsten Phase werden wir die Steine in Phantome einbetten, die die Geometrie und Zusammensetzung des Beckenbereichs simulieren. Unter diesen realistischen Bedingungen entwickeln wir unser Verfahren weiter, schätzen die Patientendosis und andere relevante Parameter ab oder können weiter optimieren. Parallel dazu erstellen wir mit unseren klinischen Partnern eine umfangreiche Sammlung verschiedener Steine, die wir charakterisieren werden. Am Ende soll ein grobes Protokoll und eine klinisch einsatzfähige Methode stehen, die in eine technische Umsetzungsphase für eine Pilotanlage übergehen kann.
❱ Literatur
[1] https://www.tum.de/aktuelles/alle-meldungen/pressemitteilungen/details/neue-roentgentechnologie-im-patienteneinsatz
[2] https://www.tum.de/aktuelles/alle-meldungen/pressemitteilungen/details/neue-roentgentechnologie-im-patienteneinsatz
[3] https://www.tum.de/aktuelles/alle-meldungen/pressemitteilungen/details/neue-roentgentechnologie-kann-die-covid-19-diagnose-verbessern