Dr. Andreas Schreiner, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Verfahrens- und ChemieingenieurInnen. © ANDREAS SCHREINER

Verfahrenstechnikerin bei der Arbeit © SGVC

SGVC – ein bewährtes Bindeglied zwischen Lehre, Forschung und Anwendung

Publiziert

Der Fachkräftemangel stellt Unternehmen vieler Branchen vor immer grössere Herausforderungen. Eine Organisation, die insbesondere in der Chemie- und Pharmaindustrie aktiv gegen diesen Mangel vorgeht, ist die Schweizerische Gesellschaft für Verfahrens- und ChemieingenieurInnen (SGVC). Im exklusiven Interview sprach Dr. Andreas Schreiner, Präsident der SGVC, über die Schwerpunkte der SGVC, die Entwicklungen der letzten fünf Jahre, und die Massnahmen gegen den Fachkräftemangel in der Schweiz.

Die Schweizerische Gesellschaft der Verfahrens- und ChemieingenieurInnen (SGVC) ist ein zentraler Akteur in der Förderung und Vernetzung von Fachleuten aus den Bereichen Verfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen. Seit ihrer Gründung im Jahr 1965 setzt sich die SGVC dafür ein, den Austausch zwischen Lehre, Forschung und industrieller Anwendung zu fördern und eine Brücke zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zu schlagen.
Verfahrens- und ChemieingenieurInnen sind in nahezu jedem Industriesektor unverzichtbar: von der Chemie-, Pharma- und Kunststoffindustrie über die Lebensmittel- und Zementindustrie bis hin zum Apparatebau, zur Medizinaltechnik, zum Umweltschutz, zur Biotechnologie sowie zur Energie- und Haustechnik. Dank ihrer vielseitigen Ausbildung spielen sie eine entscheidende Rolle bei der Übertragung neuer Laborverfahren in die industrielle Produktion.
Die SGVC bietet ihren über 310 Einzelmitgliedern und 60 Kollektiv- bzw. Firmenmitgliedern ein breites Spektrum an Dienstleistungen. Dazu gehören hochwertige Weiterbildungen und Fachveranstaltungen, die Förderung junger Talente – etwa durch den jährlichen Innovationspreis – und die Unterstützung junger IngenieurInnen beim Berufseinstieg. Darüber hinaus stellt die SGVC eine wertvolle Plattform für Networking bereit, die den Austausch und die Zusammenarbeit innerhalb der Branche erleichtert.
Als Verein organisiert, besteht der Vorstand der SGVC aus engagierten Praktikern und Dozierenden aus verschiedenen Fachgebieten. Die Gesellschaft vertritt die Interessen ihrer Mitglieder sowohl auf nationaler Ebene in der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften (SATW) als auch international und trägt so zur Weiterentwicklung und Sichtbarkeit der Disziplin bei.

Herr Dr. Schreiner, seit Ihrem letzten Interview sind fünf Jahre vergangen [1]. Was hat sich seitdem bei der SGVC verändert?

Andreas Schreiner: Die SGVC hat sich organisatorisch weiterentwickelt, insbesondere durch die Nutzung Der Fachkräftemangel stellt Unternehmen vieler Branchen vor immer grössere Herausforderungen. Eine Organisation, die insbesondere in der Chemie- und Pharmaindustrie aktiv gegen diesen Mangel vorgeht, ist die Schweizerische Gesellschaft für Verfahrens- und ChemieingenieurInnen (SGVC). Im exklusiven Interview sprach Dr. Andreas Schreiner, Präsident der SGVC, über die Schwerpunkte der SGVC, die Entwicklungen der letzten fünf Jahre, und die Massnahmen gegen den Fachkräftemangel in der Schweiz. SGVC – ein bewährtes Bindeglied zwischen Lehre, Forschung und Anwendung neuer Kommunikationstools wie LinkedIn und die Erweiterung unserer Homepage auf Deutsch, Englisch und Französisch. Unser Vorstand wurde mit jüngeren Kollegen aus der Industrie und den Hochschulen erneuert. Wir haben neue Themen aufgegriffen, wie Nachhaltigkeit, CO2-Emissionen und Carbon Capture and Storage, sowie neue Fokusthemen in der Prozesstechnik aufgenommen. Zu den neuen Projekten gehört der Ausbau der SGVC-femmes-Gruppe, deren Netzwerk sich seit 2019 erweitert und gefestigt hat, was sich an den erfreulichen Teilnehmerinnen-Zahlen der Anlässe zeigt. Ausserdem haben wir unser Projekt WinPACE reevaluiert und festgestellt, dass andere Organisationen die Frauenförderung in MINT-Fächern effektiver realisieren können, weshalb wir das Projekt eingestellt und auf diese Organisationen verlinkt haben.

Wie hat sich die Mitgliederzahl entwickelt und welche neuen Initiativen zur Mitgliedergewinnung gibt es?

Andreas Schreiner: Die Mitgliederzahl ist relativ stabil mit 310 Einzel- und 60 Kollektivmitgliedern. Um junge Mitglieder zu gewinnen, haben wir Initiativen wie den SGVC-Innovationspreis und Studentenexkursionen gestartet. Zudem organisieren wir «Schüler besuchen die Industrie» [2] und bauen seit Anfang 2024 ein Studentennetzwerk an den Hochschulen auf, um Studierenden den Zugang zur industriellen Welt der Verfahrenstechnik und des Chemieingenieurwesens zu erleichtern.

Welche bedeutenden Erfolge hat die SGVC in den letzten fünf Jahren erzielt und welche Herausforderungen mussten gemeistert werden?

Andreas Schreiner: Ein grosser Erfolg ist die aktive Organisation von Weiterbildungen und Fachveranstaltungen für unsere Mitglieder. Die Gewinnung weiblicher Mitglieder durch die Bildung der SGVCfemmes-Gruppe ist ebenfalls ein Erfolg. Herausforderungen sind der demografische Wandel und die Transformation des Berufsverbandes hin zu einem Netzwerk und einer Wissensvermittlungsplattform. Wir wollen als Bindeglied zwischen Lehre, Forschung und Anwendung und dem Angebot der Wissensvermittlung und Weiterbildung fungieren.

Wie war die Resonanz auf die Weiterbildungs- und Seminarangebote der SGVC? Haben sich die Interessen der Teilnehmenden verändert?

Andreas Schreiner: Es gibt eine erhöhte Nachfrage nach Weiterbildung im klassischen verfahrenstechnischen Bereich, insbesondere in Themen wie Anlagenbau und Kristallisation. Neue Technologien und Umweltdebatten haben das Interesse an diesen Bereichen wiederbelebt. Zudem haben wir unseren Ergänzungskurs Verfahrenstechnik um neue Module erweitert und arbeiten mit der FHNW an einem CASzertifizierten Kurs.

Da wir gerade bei Kooperationen sind: Mit welchen nationalen und internationalen Fachgesellschaften und Institutionen arbeitet die SGVC zusammen?

Andreas Schreiner: National arbeiten wir mit anderen Berufsverbänden, wie der GSIA (Gesellschaft der Industrieapotheker), der SATW (Schweizerische Akademie der Technischen Wissenschaften), der SCG (Schweizer Chemische Gesellschaft) oder dem SVAN (Schweizer Verband für angewandte Naturwissenschaften) zusammen und unterstützen uns gegenseitig in Themen der Weiterbildung oder Präsenz an Industriemessen. International pflegen wir einen regen Austausch zur EFCE (European Federation of Chemical Engineers) und empfehlen auch Experten der SGVC in die Fachgremien.

Wie hat die COVID-19-Pandemie die Aktivitäten der SGVC beeinflusst?

Andreas Schreiner: Die Pandemie hat uns gezwungen, digitaler zu werden und Meetings sowie Ausbildungsanlässe teilweise hybrid durchzuführen. Die Erwartungen an digitale Formate sind gestiegen, und wir arbeiten daran, diese besser zu erfüllen.

Welche langfristigen Ziele und Visionen haben Sie für die SGVC in den nächsten fünf bis zehn Jahren?

Andreas Schreiner: Wir möchten jungen Mitgliedern ein Netzwerk zum Berufseinstieg und «gereifteren» Mitgliedern Weiterbildungsmöglichkeiten bieten. Herausforderungen sind und bleiben der demografische Wandel und die Anpassung an neue Technologien und Anforderungen.

Welche Rolle spielen neue Technologien wie Künstliche Intelligenz und Digitalisierung in der Verfahrenstechnik und im Chemieingenieurwesen?

Andreas Schreiner: Digitalisierung im Automationsbereich wird in unserer Fachgruppe Automation aktiv angegangen. Themen wie Recycling, Carbon Capture und Umweltschutz sind ebenfalls von grosser Bedeutung und finden sich in unseren Veranstaltungen und Kursen wieder.

Noch vor fünf Jahren nahm die SGVC eine Technikfeindlichkeit und Technikskepsis wahr. Ist das immer noch so?

Andreas Schreiner: Eine Technikskepsis nehmen wir nicht mehr im damaligen Ausmass wahr, da z.B. in der Pharmaindustrie mit der Anwendung neuerer Technologien (z. B. Containment für hochaktive Stoffe oder chromatografische Verfahren zur Herstellung von Peptiden) bessere/verbesserte Medikamente für die Patienten hergestellt werden können und daher als notwendig erachtet werden.

Das freut mich zu hören. Demnach hat sich der Innovationspreis «Prix SGVC», den Sie vorher erwähnten, wahrscheinlich auch weiterentwickelt?

Andreas Schreiner: Der Prix SGVC ist ein fester Bestandteil im SGVC, um Bachelor- und Masterarbeiten von Studierenden zu honorieren und zu belohnen (1000–2000 CHF). Alle eingereichten Arbeiten weisen einen hohen Innovationsgehalt auf und werden von einer Jury bewertet. Noch sehr neu ist in diesem Zusammenhang, dass wir seit einem Jahr den Industriepreis (20 000 CHF) ausgeschrieben haben und diesen zum ersten Mal an unserer GV vergeben haben. Der Fachkräftemangel-Index Schweiz hat im vergangenen Jahr einen neuen Höchststand erreicht [3].

Wie stark ist die Verfahrens- und Chemieingenieurbranche vom Fachkräftemangel betroffen und welche Massnahmen helfen, die Situation zu verbessern?

Andreas Schreiner: Hier sprechen Sie einen wunden Punkt an. Die Branche ist stark betroffen, da Absolventen sofort Stellen finden und sich die Industriezweige die Talente gegenseitig streitig machen. Neben der Förderung weiblicher Fachkräfte sehen wir Potenzial in der Weiterbeschäftigung über das AHVAlter hinaus und der Rekrutierung von (Früh-)Pensionierten. Wir setzen auch stark auf die Begeisterung von Schülern für MINT-Fächer und die Weiterbildung.

Welche Strategien haben Sie implementiert, um das Interesse an technischen Berufen bei jungen Menschen zu fördern?

Andreas Schreiner: Für uns beginnt der Fachkräftemangel bereits im Schulalter. Wir bieten Firmenbesuche, Schullabore und Schülerführungen an, um das Interesse an MINT-Fächern zu wecken. Der SGVC-Innovationspreis honoriert innovative Arbeiten von Studierenden, und der neue Industriepreis fördert herausragende Projekte in der Industrie. Daneben arbeiten wir an der Bildung eines SGVCStudentennetzwerkes. Die SGVC kann beispielsweise Mittel für Studierende oder Assistenten an Hochschulen bereitstellen, mit denen dort Informationsveranstaltungen und Come-Together-Events für Studierende durchgeführt werden können, in lockerer Atmosphäre von Student zu Student.

Welche Rolle spielt die SGVC aktuell in der Bildungspolitik und welche Initiativen wurden ergriffen, um den Einfluss der Gesellschaft in diesem Bereich zu stärken?

Andreas Schreiner: Der Nachwuchs liegt uns sehr am Herzen, entsprechend haben wir, wie schon genannt, diverse Projekte aufgelegt. Im Speziellen ist es mir wichtig, zu erwähnen, dass wir uns bemühen, auch auf die Ausbildungs- und Forschungsthemen an den Hochschulen Einfluss zu nehmen, indem wir unsere Sichtweise bei der Wiederbesetzung von Professoren einbringen.

Inwiefern wirken sich Debatten um Umweltschutz und Klima auf die Verfahrenstechnik und die Aktivitäten der SGVC aus?

Andreas Schreiner: Gerade der Umweltschutz und die Klimadebatte beflügeln das Interesse an der Verfahrenstechnik, da z. B. das Recycling von Polymeren, der Carbon Capture oder der Anwendung von Nanotechnologien im Grunde auf verfahrenstechnische Prozesse zurückgreift. Daher finden sich diese Themen vermehrt auch in unseren Anlässen oder im Inhalt unseres erweiterten Ergänzungskurses Verfahrenstechnik.

Wenn Sie an Ihren eigenen Werdegang denken und dabei in die Zukunft blicken, könnten Sie sich an eine vorsichtige Prognose wagen?

Andreas Schreiner: Mich hat im Gymnasium ursprünglich das Gebiet der Umwelttechnik, mit Boden-, Luft-, Wasserreinigung sehr interessiert. Deshalb habe ich mich für das Studium der Verfahrenstechnik entschieden; Die Chancen auf ein Revival unter den Schülern stehen im Zuge der allgemeinen Nachhaltigkeitsbemühungen nicht schlecht, das würde den Fachkräftemangel in unserer Branche ein gutes Stück weit eindämmen.

Sie haben einen sehr persönlichen Bezug dazu, und doch scheint das alles sehr abstrakt. Wie könnte man Unentschlossenen das Fachgebiet schmackhaft machen?

Andreas Schreiner: Um beim Stichwort «Geschmack» zu bleiben: Erst kürzlich bin ich auf das Buch «Rätsel der Kochkunst» von Herve This-Benckhard gestossen, das erklärt, was im Kochtopf alles passiert. Es sind physikalische Prozesse und chemische Reaktionen, die sich wissenschaftlich erklären lassen. Denn wenn man z. B. die Bedeutung der spezifischen Oberfläche von Partikeln auf die Farbintensität oder das Reaktionsvermögen kennt, kann man das gewinnbringend (geschmacksverbessernd) beim Kochen oder Backen einsetzen. Diesen Praxisbezug zur Verfahrenstechnik vermittle ich auch in meiner ehrenamtlichen Tätigkeit als Dozent an die Studenten, um das Fachgebiet interessanter und praxisnäher zu gestalten. – Somit auf einen guten (wissenschaftlich erklärbaren) Appetit.

❱ Quellen
[1] https://www.verlag-dr-felix-wuest.ch/wp-content/uploads/2020/03/SWISS-PHARMA_1_20_SGVC.pdf, Stand: März 2024
[2] SGVC-Homepage, Reiter «Nachwuchs»: www.sgvc.ch/society/de/encouragement, Stand: Juni 2024
[3] Interview mit Yanik Kipfer, Stellenmarkt-Monitor Schweiz, Universität Zürich, in «Innovation Chemie Pharma», Ausgabe 1/2024:
https://www.chemiepharma-innovation.ch/management/der-schweizer-arbeitsmarkt-befindet-sich-im-wandel, Stand: Juni 2024

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Bezugsquellenverzeichnis